In dem Forschungsvorhaben "Untersuchungen zum Verhalten von Radiocäsium in Wildschweinen und anderen Biomedien des Waldes" wurden dynamische radioökologische Modelle entwickelt um die Akkumulation und Migration von Radiocäsium in Biomedien von Waldökosystemen zu beschreiben und den weiteren Aktivitätsverlauf zu prognostizieren.
Einführung in das entwickelte dynamische radioökologische Modell
In diesem Forschungsvorhaben wurden von 2001 bis 2004 die Ursachen für die vergleichsweise hohe 137Cs
Aktivität von Wildbret, insbesondere von Wildschweinen, in Teilen des Bayerischen Waldes, die durch den Tschernobyl-Fallout besonders betroffen sind, detailliert aufgeklärt.
Ein wesentliches Ziel des Forschungsvorhabens war die Entwicklung eines dynamischen radioökologischen Modells, das den bisherigen Zeitverlauf der Kontamination von Rehen, Rothirschen und Wildschweinen beschreibt und den weiteren Verlauf prognostiziert.
Das Modell sollte die dynamischen Prozesse von 137Cs in Boden, Pflanzen und Pilzen und bei der Nahrungsaufnahme der Wildtiere berücksichtigen.
Radioökologische Modelle, die das Verhalten von 137Cs in Waldökosystemen mathematisch beschreiben, wurden bereits vor dem
Tschernobyl-Fallout entwickelt. OLSON (1965) erstellte ein Gleichungssystem, um den Transfer von 137Cs, das künstlich auf eine Versuchsfläche aufgebracht worden war, in verschiedene Kompartimente von
Pappeln zu beschreiben. Weitere Modelle wurden aufgrund des Eintrags von 137Cs durch den globalen Fallout in Eichenwäldern (CROOM und RAGSDALE, 1980) sowie durch den Unfall in Kyshtym, 1957,
imUral(PROHOROV und GINZBURG, 1973), entworfen.
Wegen der radioökologischen Bedeutung des Tschernobyl-Fallouts und aufbauend auf umfassendes Datenmaterial wurde 1996-2002, im Rahmen verschiedener
internationaler Projekte, das Verhalten von Radiocäsium in ungestörten Ökosystemen, besonders in Waldökosystemen modelliert (z.B. BELLI, 2000). Eine Übersicht der verschiedenen Modelle ist in IAEA (2002)
gegeben.
In radioökologischen Modellen wird das Ökosystem Wald i.d.R. in verschiedene Kompartimente (z.B. Bäume, Tiere) mit gleicher Funktionalität
unterteilt und diese wiederum in Komponenten (z.B. Spezies). 137Cs kann zwischen den Kompartimenten bzw. Komponenten ausgetauscht werden („Fluss“).
Die Forest Working Group der IAEA (2002) kam zu dem Schluss, dass die bisherigen Modelle bei „biological endpoints“, wie Pilzen, Beeren und
Wildtieren, zu sehr unter-schiedlichen Ergebnissen bei der langfristigen Prognose der 137Cs Aktivität führten. Nur wenige dieser Modelle beziehen Wildtiere mit ein. Der saisonale Verlauf von 137Cs
in Rehen wurde bisher in den Modellen von AVILA (1998) und ZIBOLD et al. (2001) beschrieben. Bei beiden Modellen wird der Anstieg der 137Cs Aktivität im Herbst durch die Aufnahme von Pilzen verursacht.
Das in der vorliegenden Arbeit entstandene radioökologische Rechenmodell
ist in der Abbildung 4 schematisch dargestellt. Es lehnt sich an das Modell ECOSYS-87 an, welches am GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit GmbH, Neuherberg, entstanden ist (MÜLLER und PRÖHL, 1993). ECOSYS-87 modelliert u.a. die radioaktive Kontamination in der Frühphase nach einer Deposition von Radionukliden in umfassender Weise, weshalb es zur Grundlage für Entscheidungshilfesysteme bei radioaktiven Unfällen geworden ist, auch im europäischen Entscheidungshilfesystem RODOS (EHRHARDT, 2000).
Da in diesem Forschungsvorhaben jedoch die langfristigen Auswirkungen des Tschernobyl-Unfalls untersucht werden sollten, wurde auf die Modellierung von
Prozessen verzichtet, die nur in den ersten Wochen oder Monaten nach der Deposition von 137Cs von Bedeutung sind. Das Modell beschreibt vielmehr Prozesse, die sich besonders auf die Kontamination von
Pflanzen und Tieren in Wäldern oder anderen ungestörten Ökosystemen auswirken. Es enthält eine detaillierte Beschreibung der Dynamik von 137Cs in den wesentlichen Kompartimenten Boden und Pflanzen
und eine Modellierung der qualitativen und quantitativen Nahrungsgewohnheiten von Reh, Rothirsch und Wildschwein.
Die Flüsse zwischen den Kompartimenten werden durch ein System von Differenzialgleichungen beschrieben.
Abb. 4: Schema des Radionuklid-Transfers im radiologischen Modell für Wildtiere
137Cs Dynamik im vereinfachten Bodenmodell
Die Dynamik von 137Cs im Boden wird mit einem 3-Kompartimentmodell beschrieben, wobei drei Prozesse
berücksichtigt werden, denen das Nuklid unterworfen ist:
1. Migration:Radionuklide wandern in tiefere Bodenschichten. Gelangen Radionuklide außerhalb der
Wurzelzone, können sie von der Pflanze nicht mehr aufgenommen werden.
2. Fixierung: Radionuklide werden im Boden gebunden und stehen dann für die Wurzelaufnahme
nicht zur Verfügung, obwohl sie sich weiter in der Wurzelzone aufhalten.
3. Desorption:Fixierte Radionuklide in der Wurzelzone werden desorbiert und sind für die Wurzelaufnahme wieder verfügbar.
In dem Boden-Kompartiment I befindet sich der Teil des 137Cs, der für die Wurzelaufnahme verfügbar ist.
Im Boden-Kompartiment II ist der Teil des Nuklids vorhanden, der vorübergehend fixiert und damit nicht pflanzenverfügbar ist, wobei zwischen beiden Kompartimenten ein 137Cs Fluss besteht. Der Bereich
außerhalb der Wurzelzone stellt eine Senke dar, in der 137Cs dem biologischen Kreislauf entzogen ist
(Kompartiment III). Die zeitliche Abhängigkeit der drei Prozesse zwischen den Kompartimenten lässt sich durch ein System zweier Differenzialgleichungen beschreiben:
(1)
(2)
n=n(t): Funktion, die den zeitlichen Verlauf der für die Wurzelaufnahme verfügbaren
Radionuklide beschreibt
f=f(t): Funktion, die den zeitlichen Verlauf der fixierten Radionuklide beschreibt
la: Zeitkonstante der Migration in Bereiche außerhalb der Wurzelzone (a-1)
lf: Zeitkonstante der Fixierung (a-1)
ld: Zeitkonstante der Desorption (a-1)
Die Annahme, dass sich vor der Deposition keine Radionuklide im Boden befinden, entspricht den Anfangsbedingungen n(0)=1 und f(0)=0. Die Lösung der Differenzial-gleichungen mit diesen
Anfangsbedingungen ist gegeben durch:
(3)
(4)
mit
(5a, 5b)
(6a, 6b)
und
(7)
Als Tiefe der Wurzelzone kann L = 10 cm angenommen werden. Geht man vereinfachend davon aus, dass
die Dichte des Bodens innerhalb dieser Tiefe gleich ist, und der Boden unterhalb dieser Tiefe als Senke wirkt, so lässt sich aus den obigen Gleichungen die Aktivitätskonzentration in der Wurzelzone einer Pflanze
ableiten (die Gesamtkonzentration in der Wurzelzone ergibt sich aus der Addition der beiden Konzentrationen).
zur Wurzelaufnahme verfügbare Radionuklide (8)
für fixierte Radionuklide (9)
CS,disp (t), CS,fix(t): Aktivitätskonzentrationen im Boden (Bq*kg-1)
Adep: Deponierte Aktivität (Bq*m-2)
r: Dichte des Bodens (kg*m-3) bis zur Tiefe L
L: Bodentiefe der Wurzelzone (m)
n(t), f(t): Zeitfunktionen
t: Halbwertszeit des radioaktiven Zerfalls
137Cs Dynamik im Pflanzenmodell
Nach einer einmaligen, zeitlich begrenzten Aktivitätsablagerung von Radiocäsium, wie nach dem
Reaktorunfall von Tschernobyl, erfolgt die langfristige Kontamination von Pflanzen fast ausschließlich über die Wurzelaufnahme. Dabei steht nur der Teil des 137Cs zur Verfügung, der nicht im Boden fixiert ist. Somit
lässt sich unter Berücksichtigung des radioaktiven Zerfalls die Aktivität bei Verwendung des beschriebenen Bodenmodells, wie folgt, berechnen:
(10)
CP,k(t): Aktivitätskonzentration einer Pflanze k (Bq*kg-1)
TFP,k: Boden-Pflanze Transferfaktor (Aktivität je kg Pflanze / Aktivität je kg Boden)
Adep: Deponierte Aktivität (Bq*m-2) zum Zeitpunkt t = 0
r: Dichte des Bodens (kg*m-3)
L: Bodentiefe (m), die für die Wurzelaufnahme relevant ist
n(t): Zeitfunktion
t: Halbwertszeit des radioaktiven Zerfalls
In diesem Bodenmodell können die Raten für die Migration aus der Wurzelzone (zwischen
Bodenkompartiment I und Bodenkompartiment III) sowie die Raten für Fixierung und Desorption (zwischen Bodenkompartiment I und Bodenkompartiment II) für verschiedene Pflanzen unterschiedlich sein. Dies ist
auf die unterschiedliche Beschaffenheit des Bodens, auf dem die Pflanzen wachsen, zurückzuführen.
137Cs Dynamik im Wildtiermodell
Der Tierorganismus kann Radiocäsium über die Haut (perkutane Resorption), die Atemwege (Inhalation) und über den Magen-Darmtrakt aufnehmen (Ingestion). Die weitaus größte Bedeutung hat die Ingestion
(HVIDEN und LILLEGRÄVEN, 1961; LANGHAM, 1960). So fanden WHICKER et al. (1965) bei Untersuchungen an Maultierhirschen (Odocoileus hemionus) in Colorado, dass die Tiere 97 % ihrer 137Cs Kontamination
durch die Nahrung aufnahmen. Im vorliegenden Forschungsvorhaben wird davon ausgegangen, dass die im Körper vorhandene 137Cs Aktivität mit der Nahrung aufgenommen wurde. Die sich im Tierkörper
einstellende 137Cs Aktivität wird wesentlich durch den 137Cs Input und Output bestimmt. Der 137Cs Input wird durch die Größen Nahrungsart und Nahrungsmenge bestimmt (Abbildung 5).

Abb. 5: Schematisiertes Modell für die Aufnahme und Kinetik von Radiocäsium im Tierkörper, mit der Annahme von 2 Speichern für 137Cs im Organismus
Im vorliegenden radioökologischen Modell wird die Aktivitätsaufnahme von Wildtieren wie folgt berechnet:
(11)
Am(t): Aktivitätsaufnahme eines Tieres m (Bq*d-1)
Nm: Anzahl der Nahrungsbestandteile
CF,k(t): Aktivitätskonzentration (Bq*kg-1) für die Nahrung k
Im,k(t): Rate der Nahrungsaufnahme (kg*d-1) des Tieres m bezüglich der Nahrung k
Da es sich bei den Nahrungsbestandteilen der untersuchten Wildtiere um Pflanzen handelt, kann CF,k(t) =
CP,k(t) gesetzt werden.
Die Kinetik von 137Cs im Tierkörper
Rehe und Rothirsche sind Wiederkäuer mit mehrkammerigen Mägen (Pansen, Netzmagen, Blättermagen
und Labmagen). Mit Hilfe von Mikroorganismen werden hier Zellulose aus den Nahrungspflanzen und andere schwer verdauliche Bestandteile abgebaut, wobei die Endprodukte, kurzkettige Fettsäuren, schnell
resorbiert werden.
Rehe gehören aufgrund der Morphologie des Verdauungssystemes und der Ernährung zu den
Konzentratselektierern (HOFMANN und STEWART, 1972; HOFMANN, 1989), die an die Verdauung von Pflanzenteilen mit leicht verdaulichen Zellinhaltsstoffen angepasst sind (TIXIER et al., 1997). Sie haben im
Verhältnis zum Körpergewicht einen kleinen Vormagen mit geringer Kapazität und wenig Unterteilungen, aber großen Öffnungen zwischen den Vormagenabschnitten (HOFMANN, 1988), was zu einer schnellen
Passagerate und kurzer Partikelretentionszeit führt (HOLAND, 1994). Schwer verdauliche Pflanzenfaseranteile können daher nur begrenzt genutzt werden.
Rothirsche stehen, ernährungsphysiologisch gesehen, zwischen den Konzentratselek-tierern und den
reinen Raufutterfressern und werden als Intermediär-Wiederkäuer-Typ bezeichnet. Sie ernähren sich sowohl von leicht verdaulichen als auch von zellulosehaltigen Pflanzen, HOFMANN (1989). Rothirsche haben
einen relativ großen Vormagen mit großer Kapazität, der unterkammert ist und durch Zotten etc. die Passage der Nahrungspartikel verzögert. Dadurch wird eine lange Verweilzeit des Nahrungsbreies im
Vormagen erreicht, sodass die dort angesiedelten Mikroben die Pflanzenzellen optimal spalten und umwandeln können. Bei Wiederkäuern nimmt die Fähigkeit, Zellulose zu verdauen, von den Grasfressern
zu den Konzentratselektierern hin ab, Rothirsche können Zellulose besser verwerten als Rehe.
Wildschweine sind Allesfresser, mit einkammerigem Magen (Monogastrier). Im Gegen-satz zu den
Wiederkäuern Reh und Rothirsch, bei denen Bakterien in den Vormägen den Großteil des Nahrungsabbaus leisten, ist das Wildschwein i.w. auf die Spaltung der Nahrung durch die Enzyme in Speichel, Magen und
Dünndarm angewiesen.
Cäsium wird im Magen-Darmtrakt von Säugetieren, infolge der hohen Wasserlöslichkeit seiner Salze
schnell resorbiert und mit dem Blutstrom in die Gewebe weitergeleitet. Analog zu Kalium wird es hier intrazellulär, insbesondere im Muskelgewebe angereichert. Der Hauptresorptionsort ist bei Monogastriern
der Dünndarm (MOORE und COMAR, 1962), während Ruminantia Cäsium zusätzlich über den Pansen aufnehmen (HOOD und COMAR, 1953; ILIN und MOSKALEV, 1957). Der Resorptionsumfang beträgt bei:
Monogastriern 85 - 100 % (MOORE und COMAR, 1962; VOIGT et al., 1989)
Wiederkäuern 50 - 80 % [HOEK, 1976 (64-79% beim Schaf); ILIN und
MOSKALEV, 1957 (50% bei der Kuh); MC CLELLAN et al., 1962
(50-80% beim Schaf); SANSOM, 1966 (70-80% bei der Kuh)].
Die geringere Cs-Aufnahme der Wiederkäuer, im Vergleich zu den Monogastriern, ist im Wesentlichen durch
das unterschiedliche Verdauungssystem und die adsorptiven Eigen-schaften der rohfaserreichen Nahrungsbestandteile bedingt.
137Cs Transfer in den Tierkörper
Die Resorption erfolgt schnell: innerhalb einer bis mehrerer Stunden treten bereits maximale Blutspiegel auf. Die höchsten 137Cs-Konzentrationen erscheinen zunächst in den stoffwechselaktivsten Organen Niere
und Leber, während die Konzentration im Muskel-gewebe nur langsam zunimmt. Bei chronischer Cs-Aufnahme stellt sich nach einigen Tagen ein Verteilungsgleichgewicht ein, bei dem sich die Aktivität im
Gewebe trotz weiterer Cäsium-Zufuhr nicht mehr ändert. Resorptions-, Verteilungs- und Exkretionsrate haben dann einen konstanten Wert erreicht. Für diesen Gleichgewichtszustand kann der Transferfaktor
(TFl) berechnet werden, der die Höhe des Übergangs des Nuklids vom Futter in das Fleisch beschreibt.
(12)
AFl = Aktivität des Nuklids im Fleisch (Bq*kg-1)
AFu = Aktivität des Nuklids im Futter (Bq*kg-1)
I = tägliche Futtermenge (Bq*Tag-1)
Wird dem Organismus kein weiteres Cäsium mehr zugeführt, so entleeren sich die Gewebe, mit einer für
jede Tierart charakteristischen biologischen Halbwertszeit (Tbiol).
Der Transferfaktor TFl ist dabei offensichtlich von der Art und Weise der Verdauung sowie der Körpermasse
der Tierart abhängig. Bei Haustieren konnten NALEZINSKI et al. (1995) eine negative Korrelation zwischen dem Transferfaktor Futter ® Fleisch und der Körpermasse innerhalb der Gruppe der Monogastrier und der
Wiederkäuer feststellen: Der Transferfaktor nimmt mit zunehmender Körpermasse ab. Darüber hinaus haben Monogastrier einen größeren Transferfaktor als Wiederkäuer mit vergleichbarer Körpermasse. Für
Wildtiere liegen keine entsprechenden Untersuchungen vor.
Der Transfer des Radionuklids in den Tierkörper wird im Modell mittels des Transferfaktors Nahrung-Tier
beschrieben. Die Integration der vom Tier aufgenommenen Nahrung über die Zeit, unter Berücksichtigung der biologischen Halbwertzeit und des radioaktiven Zerfalls, führt zur Berechnung der
Aktivitätskonzentration (MÜLLER und PRÖHL, 1993):
(13)
CA,m(T): Aktivitätskonzentration (Bq*kg-1) des Tieres m zur Zeit T
: Transferfaktor (d*kg-1) für Tier m
Tbiol,m: biologische Halbwertszeit (d) für Tier m
Menge der täglich aufgenommenen Nahrung
Rehe und Rothirsche nehmen im Jahresverlauf unterschiedlich viel Nahrung zu sich, im Winter z.B.
grundsätzlich weniger als im Sommer. Sowohl bei Rehen als auch bei Rothirschen erfolgt als Anpassung an das im Winter reduzierte Nahrungsangebot eine Verkleinerung des Pansens durch Reduzierung der
Pansenzotten HOFMANN (1985, 1989). Zum Beispiel hat bei Rehen die Kapazität des Pansens nach der Brunft im Herbst die maximale Größe und ist im späten Winter um ca. 20% kleiner (HOFMANN et al., 1976;
HOFMANN, 1989). Diese Zyklen zeigen sich auch im Gewichtsverlauf. In der Abbildung 6 ist die Gewichtsentwicklung, beispielhaft von Wapitis, von der Geburt an dargestellt.
Es ist sehr schwierig, die Menge der täglichen oder saisonalen Nahrungsaufnahme von Rehen, Rothirschen
und Wildschweinen im Freiland zu bestimmen, weshalb auch keine diesbezüglichen Publikationen vorliegen. Es wurden aber Fütterungsexperimente an Rehen und Rothirschen in Gehegen durchgeführt,
deren Ergebnisse gut mit den im Freiland ermittelten Gewichtsverläufen dieser Wildarten übereinstimmen. Im Folgenden wird insbesondere auf die saisonale Nahrungsaufnahme von Rehen eingegangen, weil von
dieser Tierart umfassende Messwerte der 137Cs Aktivität vorliegen und das radioökologische Modell insbesondere den saisonalen Kontaminationsverlauf beschreiben soll.
Lebendgewicht [kg]

Abb. 6: Saisonaler Zyklus der
Gewichtsentwicklung eines männlichen Wapitis ab der Geburt aus WAIMURI et al. (1992)
Alter
[Wochen]
Reh:
Nach den Angaben von DROZDZ und OSIECKI (1973), die einen Fütterungs-versuch an 3 Rehen
durchführten, nahmen Rehe im Sommer durchschnittlich 550 g, im Winter dagegen nur 350 g Nahrung (TS) pro Tag auf.
ELLENBERG (1978) untersuchte das Nahrungsverhalten von 10 Rehböcken im Gehege, unter naturnahen
Bedingungen. Die täglich aufgenommene Nahrungsmenge variierte saisonal entsprechend der Abbildung 7. Dargestellt ist die Futteraufnahme von adulten Rehböcken unter Gehegebedingungen. Der Autor stellte
fest, dass die Tiere, trotz konstanter Haltungsbedingungen und Zusammensetzung des Futters, im Jahresablauf unterschiedlich viel Nahrung aufnahmen. Besonders niedrig war die durchschnittliche
Nahrungsaufnahme während der Brunft Ende Juli/Anfang August und zur Zeit des intensiven Geweihschubs im Januar und Anfang Februar. Schneefall, wenn auch nur in Spuren, führte ebenfalls zu einer reduzierten
Nahrungsaufnahme. Im Durchschnitt wurde die größte Futtermenge im Oktober aufgenommen. Dieser saisonaleVerlauf wird durch einen anderen Gehegeversuch belegt, bei dem die abgegebene Kotmenge von
Rehen bestimmt wurde (Abbildung 8).
Die Nahrungsaufnahme kann über die abgegebenen Kotmengen abgeschätzt werden, entsprechend der
Beziehung: Tägliche Nahrungsaufnahme = Kotmenge / (1-Verdaulichkeit der Nahrung), wobei die Verdaulichkeit ca. 50% beträgt (WAIMURI et al. 1992). Aus den Abbildungen 7 und 8 wird deutlich, dass bei
Rehen die maximale Nahrungsaufnahme im Oktober erfolgt.
Futteraufnahme [g]

Abb. 7: Durchschnittliche Futteraufnahme (g Kraftfutter pro Tier und Tag, bei 88 % TS) von 10 drei- bis vierjährigen Rehböcken, verändert nach ELLENBERG (1978)

Abb. 8: Täglich ausgeschiedene Kotmengen bei Rehen (ermittelt mit dem Co-EDTA-Marker), verändert nach BEHREND (1999
Rothirsch:
Detaillierte Angaben über die saisonale Variabilität der Nahrungsmenge liegen für Rothirsche nicht vor. Drescher Kaden (1981) gibt 2,3 kg Trockensubstanz/Tag für den Sommer und 1,65 kg*d-1 für
den Winter an. Das DEPARTMENT OF AGRICULTURE (1991) gibt 3 kg*d-1 (TS) als Maximum für trächtige Rothirschweibchen und 2,5 kg*d-1 für nicht trächtige Rothirschweibchen an, für männliches Rotwild werden
als Maximum 5 kg*d-1 im Frühjahr und 4 kg*d-1 im Herbst und Winter angegeben. AGRESEARCH (1995) geben für einen 90 kg schweren Rothirsch 1,7 kg*d-1 (TS) und für einen 150 kg schweren Rothirsch 2,6
kg*d-1 als Erhaltungsfutter im Sommer an.
Wildschwein: Es ist anzunehmen, dass die täglich aufgenommene Nahrungsmenge saisonal nur wenig
variiert. Die Gewichte der Mageninhalte, die grob in etwa der auf-genommenen Nahrungsmenge entsprechen, variieren erheblich, zwischen 395 g und 4.170 g, bei einem Mittelwert von 1.450g.
Nahrungsaufnahme in Pilzjahren (nur im Reh-Modelling)
In Jahren, in denen besonders viele oberirdische Fruchtkörper einer oder mehrerer Pilzarten fruktifizieren
("Pilzjahre“), nehmen Rehe vermehrt Pilze auf. Da Pilze einen erheblichen Beitrag zum 137Cs Input bei
Rehen liefern können, berücksichtigt das Modell solche „Pilzjahre“, ebenso wie Jahre, in denen kaum Pilze vorkommen. Unabhängig davon, wie viele Pilze konsumiert werden, ändert sich die Gesamtmenge der
Nahrungsaufnahme jedoch nicht, weshalb in Jahren mit besonders vielen Pilzen nicht nur die Rate der Nahrungsaufnahme für Pilze zu ändern ist, sondern auch die Raten für die Aufnahme der übrigen
Nahrungsbestandteile entsprechend zu wichten sind. Dies geschieht mit folgender Gleichung:
für k ¹l (14)
k: Index eines Nahrungsbestandteils mit k ¹l
l: Index des Nahrungsbestandteils „Pilze“
Im,k*(t): Rate der Nahrungsaufnahme (kg*d-1) für den Nahrungsbestandteil k ¹l in Jahren
mit besonders vielen oder wenigen Pilzen
Im,l*(t): Rate der Nahrungsaufnahme (kg*d-1) für den Nahrungsbestandteil „Pilze“ in Jahren
mit besonders vielen oder wenigen Pilzen.
Modell für die Migration von 137Cs in Bodenprofilen
Zur mathematischen Beschreibung des Transports von 137Cs in Böden wurden in der Vergangenheit unter
anderem Kompartiment-Modelle verwendet, die grundlegend von FRISSEL (1981) und FRISSEL und PENDERS (1983) eingeführt wurden. In dem vorliegenden Vorhaben wurde für die Beschreibung der Tiefenverteilung von 137Cs in Waldbodenprofilen ein Modell entwickelt, das den Boden in übereinander
liegende 2 cm Bodenkompartimente (Schichten) einteilt, in denen die Migration, Fixierung und Desorption von 137Cs stattfindet (Abbildung 9).
Zusätzlich wurde noch ein zeitlich abhängiger Eintrag von 137Cs auf den Boden berücksichtigt, der durch
Streufall und Kronentraufe von Bäumen verursacht wird. Dabei wird davon ausgegangen, dass dieser Eintrag proportional zu der 137Cs Aktivität ist, die im Bodenbereich 0-14 cm für die Wurzelaufnahme
verfügbar ist. Aus Gründen der Vereinfachung des Modells wurde die Direktdeposition des Nuklids auf Bäumen vernachlässigt.
Abb. 9: Schema für 137Cs im Bodenmodell mit NT Schichten. Die Radionuklide in den grau unterlegten Kompartimenten stehen für die Wurzelaufnahme zur Verfügung
Das System von Differenzialgleichungen für den 137Cs Fluss in den Bodenschichten wird wie folgt formuliert:
für i = 1
füri = 2, ..., NT
i: Index der Bodenschicht
NB = 7: Anzahl der Bodenschichten, die für die Berechnung von Streufall und
Kronentraufe Berücksichtigung finden.
NT = 15/25 Anzahl der Bodenschichten
n(i): Zeitfunktion für die zur Wurzelaufnahme verfügbaren Radionuklide in
der Bodenschicht (i)
f(i): Zeitfunktion für die in der Bodenschicht (i) fixierte Radionuklide
lm(i): Zeitkonstante der Migration (a-1) von Bodenschicht (i) nach
Bodenschicht (i + 1)
lf(i): Zeitkonstante der Fixierung (a-1) in der Bodenschicht (i)
ld(i): Zeitkonstante der Desorption (a-1) in der Bodenschicht (i)
lb: Zeitkonstante für den Eintrag von Radionukliden auf die
Bodenoberfläche durch Streufall und Kronentraufe (a-1).
Das System dieser Differenzialgleichungen kann numerisch gelöst werden (TÖRNIG, 1979). Die Lösung der
Differenzialgleichungen mit den Anfangsbedingungen n(i)(t=0) und f(i)(t=0) für i = 1, ..., NTbeschreibt das
Zeitverhalten der Aktivitätskonzentration in den verschiedenen Bodenschichten (Anfangsbedingungen: Gleichverteilung des unfixierten Kernwaffen-137Cs in den Bodenschichten. Weitergehende Annahmen
würden das Modellergebnis nur unwesentlich beeinflussen):
zur Wurzelaufnahme verfügbare Radionuklide
für fixierte Radionuklide
Aktivitätskonzentrationen (Bq kg-1) in der Bodenschicht (i)
Adep: Deponierte Aktivität (BqS*m-2)
r(i): Dichte (kg*m-3) der Bodenschicht (i)
d = 2 cm: Dicke einer Bodenschicht
t = 30 a: Halbwertszeit des radioaktiven Zerfalls für 137Cs
Literatur
Die Arbeiten wurden mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
finanziert. Der Text gibt die Auffassung und Meinung des Auftragnehmers wieder und muss nicht mit der des Bundesumweltministeriums übereinstimmen.
Seitenanfang
|